von Astrid Brüggemann

Ein Vortrag überrascht die Zuhörer immer wieder. Kurzweilig und lehrreich ist er und hat einen großen und mehrere kleine Spannungsbögen. Die Zuhörer wissen nicht, was gleich kommen wird, und es gibt für sie keine Abkürzung. Wenn der Vortrag langweilig wirkt, kann das Publikum nur nach vorne spulen, wenn es nicht live dabei war. Im besten Fall besitzt ein Vortrag also eine bestimmte Struktur.
Autoren machen sich viele Gedanken, wie ihre Thesen, Modelle und Impulse aufgebaut werden sollten. Sie schreiben Einleitungen, Hinführungen und Zusammenfassungen. Dekoriert wird alles mit Fakten, Case Studies und Storytelling. Auch Bücher folgen idealerweise einer bestimmten Struktur.
Dies ist kein Artikel übers Bücherschreiben, sondern übers Bücherlesen. Denn Lesen funktioniert nach völlig anderen Gesetzmäßigkeiten – zumindest dann, wenn Lesen der Wissensmehrung dient.
Wenn ich mich von Paul Celan ergreifen lasse oder in Herta Müllers Sprache taumle, dann ist das reiner Genuss. Schnell-Lese-Techniken sind dabei völlig fehl am Platze. Ich unterscheide als Schnell-Lese-Trainerin strikt zwischen Genuss-Lesen und Lesen für Informationsaufnahme. Natürlich ist das schnelle Sammeln von Wissen ebenfalls genussvoll.
Der große Unterschied zwischen Genuss-Lesen und Informationsaufnahme ist der Wunsch nach Effizienz.
Will ich schnell die Wissenslücke füllen, was Vladimir Propps Märchenstruktur von Joseph Campbells Heldenreise unterscheidet? Will ich jetzt sofort einen Impuls für einen Vortrag? Oder möchte ich flott Gabriele Oettingens WOOP-Modell verstehen, mit dem ich die Wahrscheinlichkeit empirisch erwiesen erhöhe, meine Ziele zu erreichen? Diese Art Aufgaben will ich persönlich so schnell wie möglich erledigen.
Stop! Wie geht es Dir im Moment mit diesem Artikel? Was denkst Du, worum es in diesem Text ging?
Bis hierher ist der Artikel ein bisschen so aufgebaut, wie ich einen mündlichen Vortrag strukturieren würde. Es gibt keine Überleitungen zwischen den Absätzen, ich habe Beispiele ohne Zusammenhang aufgezählt und erst am Schluss der Absätze habe ich die Schlussfolgerung gesetzt, die mitteilt, wozu die Beispiele dienen. Für einen geschriebenen Text, der Informationen transportieren soll, eignet sich so eine Darstellung nicht.
Im besten Fall fandest Du den Text vergnüglich, möglicherweise fühlst Du Dich genervt.
Der Grund dafür ist: Das Gehirn sucht permanent Muster und Ankerpunkte. Um Informationen effizient aufzunehmen, brauchen wir die zentrale Aussage vorab. Erst wenn uns klar ist, um was es geht, können wir daran die Details heften. Wenn kein Ankerpunkt vorhanden ist, liest Du vielleicht brav einen Absatz zu Ende und danach denkst Du: „Ach, darauf wollte sie hinaus. Hätte sie das nicht gleich erwähnen können?“
Schauen wir also, wie effizientes Lesen funktioniert. Wir brauchen dafür 2 Zutaten: Zum einen hilft es zu wissen, was konventionelles Lesen so langsam macht und zum anderen ist es höchst spannend, wie wir die Informationsaufnahme beschleunigen können.
Bremsende Gewohnheiten beim Lesen stammen aus der Kindheit; Kinder lernen lesen und bilden Gewohnheiten heraus, die beim Lesen lernen wichtig waren. Irgendwann wird beim Lesen die Schwelle der unbewussten Kompetenz überschritten. Danach funktioniert Lesen automatisch und kaum jemand beschäftigt sich nach der Kindheit noch mit dem Prozess des Lesens – selbst dann nicht, wenn in Uni und Beruf ganz andere Lesefertigkeiten nötig wären. Dem Informationszeitalter angemessen sind die einmal angenommenen Lesegewohnheiten nicht.
Eine große Bremse ist, dass unsere Gedanken beim Lesen spazieren gehen. Wir lesen etwas und dann ertappen wir uns dabei, dass die Augen nur mechanisch über die Seite gleiten. Was stand im letzten Absatz? Ach, ich lese ihn einfach ein zweites Mal. Dieses Zurückspringen wird Regression genannt und ist Zeitverschwendung. Studien über unser Leseverhalten zeigen, dass Regressionen nicht dem Textverständnis dienen. Einer der Gründe für das Zurückhüpfen der Augen ist, dass das Gehirn sich schnell langweilt. Wenn der Fokus fehlt, wird das Lesen beliebig und dadurch langweilig.
Ich möchte Dich auf einen entscheidenden Punkt aufmerksam machen: Als Leser kannst Du Dir die Struktur nicht aussuchen, die eine Autorin wählt. Den Text kannst Du nicht verändern. Deinen Leseprozess kannst Du jedoch selbst steuern! Du hast die Wahl, was Du wann liest. Du kannst vorspulen, zurückspringen, das Tempo beschleunigen und Passagen gar nicht lesen, die nicht relevant für Dich sind.
Willst Du Deine Lesegeschwindigkeit sofort erhöhen, kannst Du zwei wesentliche Dinge beim Lesen beachten:
1. Um effizient Informationen aus einem Text zu filtern, setze Dir ein Leseziel als Fokus.
2. Um Dein Leseziel so flott wie möglich zu erreichen, löse Dich von der vorgegebenen Struktur des Textes.
Wenn Autoren an meinen Schnell-Lese-Trainings teilnehmen, dann schmeckt für sie der zweite Punkt im ersten Moment bitter. Denn Autoren sitzen monatelang im Kämmerchen, brüten über einer guten Struktur und überlegen sich einen idealen Aufbau. Dann komme ich daher und breche das Ganze auf.
Ich bin überzeugt: Ein Buch soll den Lesern dienen. Der Sinn eines Buches besteht ja – neben dem Marketing – darin, die Welt ein Stückchen besser zu machen. Bücher vermitteln Erkenntnisse und Impulse, die den Menschen auf irgendeine Weise weiterhelfen. Jede beliebige Frage, die Menschen umtreibt und jedes beliebige Problem wurde bereits einmal in einem Buch gelöst.
Kein Autor kann jedoch wissen, was genau ein Leser braucht. Wir alle haben ein spezifisches Vorwissen und wenden Erkenntnisse höchst unterschiedlich an.
Mit Schnell-Lese-Techniken kannst Du sehr selektiv die relevanten Informationen herausfiltern. Auf diese Weise behältst Du sie besser und wirst sie mit höherer Wahrscheinlichkeit tatsächlich umsetzen. Wenn der Input passgenau erfolgt, ist auch der Output höher. Du als Leser trägst die Verantwortung, den Input Deinem persönlichen Bedarf anzupassen. Das Erfreuliche ist: Am schnellsten bist Du mit Büchern oder Kapiteln durch, die Du gar nicht zu lesen brauchst, weil Du kein echtes Leseziel damit verknüpfst.
Viele Speed-Reading-Trainings, die es auf dem Markt gibt, beruhen auf Erkenntnissen der 1950er und 60er-Jahre. Ich nenne diese Techniken Augenmuskeltraining. Man kann die Augenmuskeln trainieren, um damit messbar die Lesegeschwindigkeit zu erhöhen. Effizient ist das meiner Meinung nach weniger, denn mit Augenmuskeltraining liest man Passagen schneller, die man überhaupt nicht zu lesen bräuchte, weil sie dem eigenen Leseziel nicht dienen.
Der Begriff „Speed Reading“ wurde übrigens von Tony Buzan geprägt, dem großartigen Pionier des effizienten Lernens und Lesens. Er schenkte uns auch die Mindmap. Ich vermeide es meistens, von Speed Reading zu sprechen – aus Achtung vor Buzans Leistung und seiner Marke.
Heute wissen wir noch genauer Bescheid, wie das Gehirn funktioniert und was es braucht, um rasch Wissen aufzusaugen. Denken wir das Lesen neu! Lösen wir uns von der starren Chronologie eines Textes. Dann wird der Leseprozess viel leichter und geschmeidiger.
Ich habe die Schnell-Lese-Methode Motion Reading® entwickelt, die all meine Erfahrungen aus effizientem Lernen und Lesen enthält. Das Leseziel ist der erste von fünf Schritten. Es begeistert mich immer wieder, dass meine Teilnehmer berichten, sie hätten einen vollkommen neuen Blick auf Bücher entwickelt. Lesen ist leicht und geht schnell. Wenn das nicht der Fall ist, lässt sich das ändern.
Angenommen, Du hättest Dir ein Leseziel für diesen Artikel überlegt und wüsstest gerne, wie Du schneller lesen kannst. Tja, dann hättest Du bloß die beiden Punkte unter 1. und 2. lesen müssen. Den Rest hättest Du Dir sparen können.
Hier kannst Du weiterlesen: https://astridbruggemann.com/