von Nils Bäumer
Vorweg möchte ich schreiben, dass alles, was ihr hier lest, meine ganz persönliche und individuelle Meinung ist und ich mir völlig bewusst bin, dass vieles nur auf mich und meine Situation zutrifft. Versteht es als Kommentar und nicht als Sachbeitrag, der stark durch mein Bauchgefühl geprägt ist und nicht auf fundierten Daten beruht. Natürlich freue ich mich, wenn euch der ein oder andere Denkanstoß dennoch einen Impuls gibt.
Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit dem Thema Kreativität und liebe es immer noch darüber zu reden und zu schreiben. Doch es ist ein zweischneidiges Schwert, denn Kreativität verkauft sich nicht. Unternehmen finden es zwar schick, sich mit Kreativität als Schlagwort zu schmücken. Wenn es aber darum geht, in Kreativität zu investieren, dann begegnet mir viel Zurückhaltung. Und das ist noch freundlich ausgedrückt.
Vielleicht ähnelt dies der Situation bei Veränderungen, jeder will Veränderungen, aber niemand will sich verändern.
Doch jetzt ist Corona-Zeit. Ich hasse diesen Virus echt von Herzen. Alles redet über Veränderungen, über Branchen, die sich neu erfinden müssen und den digitalen Schub, den wir bekommen. Jetzt ist doch auch die Zeit für Kreativität und auch für Transformation von allem und jedem. Mittlerweile bin ich mir dabei nicht mehr so sicher bzw. habe ich einen wesentlich differenzierteren Blick auf das Geschehen als noch zum Start der Pandemie.
Am Anfang, also Mitte März, als auch bei mir quasi über Nacht alles abgesagt oder verlegt wurde, startete ich natürlich erst einmal voll Tatendrang durch. Was mir dann oft hilft, ist etwas Neues zu kaufen. Es hilft mir, mich als „handelnd“ zu betrachten und zu fühlen, als ob ich noch alles im Griff und unter Kontrolle hätte. Also nahm ich die Empfehlungen und Ratschläge aus unseren Netzwerken dankbar an und rüstetet auf. Mit Webcam, Tonfunkstrecke, dann Green Screen. „Huch das Licht fehlt.“ Also kaufen und, vielen wird es etwas sagen, das berüchtigte ATEM Mischpult besorgen. Alles ist mittlerweile an Bord und ich kann sogar halbwegs damit umgehen.
Doch ist das eine kreative Lösungssuche gewesen? Nach vier Wochen nahm ich den Fuß etwas vom Gaspedal und schaute mir die Situation an. Eigentlich versuchte ich nicht, etwas Neues zu tun bzw. zu finden, sondern das, was ich hatte, zu retten und ins digitale zu übertragen. Einen Vortrag vor und für die Kamera halten? Klar, kann ich. Aber richtig Spaß hat es mir bisher noch nicht gemacht. Jedenfalls nicht ansatzweise so viel, wie live auf einer Bühne. Und mit 100 Menschen zusammen eine Lego Stadt zu bauen, ist digital (momentan) nicht umsetzbar.
Ich wurde von einem Kollegen vor kurzem auf die Schockstarre unserer Branche angesprochen. Ich habe zu keiner Zeit solch eine Starre beobachtet und gefühlt. Bei mir persönlich herrschte Aktionismus. Etwas tun, damit man etwas tut, denn meine Kunden brauchten gerade nichts von mir. Und ich finde es toll, wenn digitale Angebote bei möglichst vielen von euch funktionieren. Persönlich habe ich den richtigen Zugang dazu noch nicht gefunden.
Die echten kreativen Impulse kamen bei mir erst mit etwas Abstand und klaren Überlegungen zu dem, was ich auch in Zukunft gerne machen möchte.
Daraus resultiert eine der spannendsten Fragen dieser Zeit in Bezug auf Kreativität und Veränderung: Macht Not erfinderisch? Ist es überhaupt eine gute Idee in der Not alles zu ändern und zu hinterfragen? Ich wollte die GSA dieses Jahr in Bezug zu internen Disruptionen beraten. Doch wer sehnt sich nach Disruption in einer Zeit, die jeden Tag Disruption erzwingt? Aus der Beratung kenne ich den Merksatz: „Keine schwerwiegenden Entscheidungen in der Krise“. Persönlich glaube ich, dass Not kein guter Ratgeber ist.
Ich mochte den Satz „Not macht erfinderisch“ noch nie. Momentan mag ich ihn noch weniger, denn es ist nicht die Not an sich, die uns in Bewegung bring. Es ist der damit verbundene Druck und der dahinter liegende Schmerz. Das zwingt zum Handeln, lässt aber in den meisten Fällen wenig Raum für kreatives Denken. Wirklich neue Ideen benötigen Freiraum und auch die Möglichkeit zum Scheitern.
Glücklicherweise habe ich diesen Freiraum und kann mit dem neu Gelernten experimentieren und testen, um das zu finden, was Kreativität und Veränderung noch verstärkt: die eigene Begeisterung. Druck erzeugt immer Gegendruck, Begeisterung zieht dich an und führt so zu neuen Möglichkeiten. Es begeistert mich, auf der Bühne zu stehen und zu Menschen zu sprechen. Es begeistert mich, anschließend mit Menschen zu diskutieren. Manchmal kann ich sie sogar inspirieren und von meinen Gedanken begeistern. Natürlich ist das auch mit einem Video und digital möglich. Bei mir persönlich entfacht sich dabei aber kaum Begeisterung.
Ich setze gerne Technik ein und finde es beruhigend, mich damit etwas auszukennen. Aber Techniker wollte ich nie werden. In diesem Gebiet liegt nicht meine Begeisterung. Ich bin extrem dankbar, wenn unsere technischen Helden uns bei der GSA immer wieder mit ihrem Wissen füttern. Ich darf für mich dennoch sagen, dass ich diesen Weg nur bis zu einem gewissen Punkt gehen will. Ich bin und will kein Techniker sein, da mich das Thema schlicht nicht anzieht. Übrigens sind wir uns in Gesprächen (meistens) einig, dass wir alle Übung und Einsätze brauchen, um ein guter Redner zu werden. Ich glaube nicht an die „Redner-in-48- Stunden“-Workshops.
Licht- und Tontechniker sind ausgebildete Profis, die lange dafür gelernt und gearbeitet haben so gut zu werden. Diese Arbeit kann und will ich nicht übernehmen, da ich weder die Ausbildung habe noch die Begeisterung für das Thema, um mich weit genug einzuarbeiten. Denn auch hier gibt es aus meiner Sicht keinen Schnellkurs, der in wenigen Tagen zum Profi macht.
Ich bewundere alle, die ihre Workshops, Trainings und Vorträge momentan erfolgreich digital und hybrid umsetzen. Mit der Unterstützung von Profis und alleine. Macht weiter und entwickelt die Möglichkeiten dabei kreativ weiter. Mein Weg ist es nicht – es macht mir zu wenig Spaß. Wenn ich mir die momentanen Vorschläge der FAMAB durchlese (dies ist der Fachverband für Unternehmen rund um die Themen Messe, Veranstaltungen, Catering usw.), dann werden mir wahrscheinlich auch größere Veranstaltungen unter diesen Hygieneauflagen kaum Spaß machen. Gerne könnt ihr hier einmal einen Blick hinein werfen: https://famab.de/fileadmin/aktuelles/COVID-19/RIFEL_Veranstaltungssicherheit_im_Kontext_von_COVID-19_V2.0.pdf
Und ja: Nicht alle können es sich leisten, diesen Abstand zu nehmen, und müssen handeln und etwas tun. Dennoch will ich allen Mut zusprechen, sich über folgendes Gedanken zu machen:
Tue ich das, was ich momentan tue, aus der Not heraus? Oder steckt darin auch Begeisterungspotenzial für mich? Versuche ich, mein bestehendes Model nur eins zu eins ins Digitale zu übertragen? Denn das ist kaum machbar.
Dies ist ganz sicher kein Aufruf, nichts zu tun oder seine Kreativität nicht zu nutzen. Ich bin überzeugt davon, dass es die Eigenschaft Kreativität ist, die es uns ermöglicht, in diesen von Komplexität geprägten Zeiten bessere Entscheidungen zu treffen. Und ich bin davon überzeugt, dass Niemand vorhersagen kann, welche Entscheidungen genau die richtigen sind. Unsicherheit ist etwas, mit dem wir zu leben lernen müssen, und die ultimative Wahrheit ist eine Lüge. Aber lasst euch von eurer Begeisterung leiten und nicht vom Druck der Situation in eine Richtung schieben. Dann werden sich neue Möglichkeiten ergeben und ihr bekommt den kreativen Freiraum, wirklich Neues zu entwickeln.
Persönlich mache ich momentan übrigens auch nichts ganz Neues, sondern etwas für mich Neues. Ich habe Spaß daran entwickelt, Videos in der Nachbearbeitung zu optimieren. Das zu lernen und geschäftlich erfolgreich einzusetzen, beschäftigt mich hoffentlich lang genug, bis ich wieder vor Publikum stehen und mit Kunden persönlich interagieren kann.
Was ich bei der GSA immer am meisten geschätzt habe ist übrigens der persönliche Austausch untereinander. Etwas, das leider momentan schwer fällt, da es sich mit über 20 Personen in einem Zoom Raum kaum einmal gemütlich plaudern lässt. Daher freue ich mich, wenn am Freitag (26.06.) möglichst viele von euch zum Member Meeting kommen. Dort werden wir per Zufall immer Gruppen von fünf Personen in Break Out Räume verteilen, damit wir uns austauschen können. Ohne Thema und Schwerpunkt, sondern wie an der Kaffeebar. Ich freue mich, euch dort zu sehen und zu hören – auch wenn es „nur“ digital ist.
Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich kein Freund davon bin, jede Krise als Chance zu sehen. Ich hätte darauf verzichten können. Krisen bringen aber definitiv immer etwas in Bewegung. Schön, wenn wir in die richtige Richtung steuern können. Und Krisen sind nicht für jeden gut – aber sie sind immer für etwas gut. Vielleicht wird durch die aktuelle ja unser Umgang mit Fleisch positiv verändert, oder ein präsidialer Clown bekommt keine weitere Amtszeit (damit ist nicht unser Präsident gemeint). Dann war es doch für etwas gut.

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