von GSA Präsident Prof. Dr. Volker Römermann, CSP
„Abgesagt!“ – das haben viele GSA-Mitglieder in den letzten Tagen hören und lesen müssen. Abgesagt? Dabei leben die meisten Mitglieder doch vom Stattfinden: von ihren Auftritten, ihren Buchungen. Abgesagt? – wegen einer Epidemie? Oder ist es doch nur eine Art Grippe mit neuem Namen? Ist das Infektionsrisiko der wahre Grund oder gilt es, Kosten zu sparen, und nun hat man auf Veranstalterseite einen zugkräftigen, schlagenden Grund gefunden?
Es ist nicht leicht, den Überblick zu behalten. Nachrichten prasseln auf uns ein, hier wieder jemand infiziert, dort die Regale leer, echte oder vermeintliche Experten äußern sich, Unternehmen schicken die Mitarbeiter nach Hause, Hannover Messe verschoben, die Leipziger Buchmesse abgesagt – beides stand schon fest in meinem Kalender. In Frankreich werden Massenveranstaltungen mit mehr als 5.000 Menschen vollständig abgesagt. Die 52. Internationale Tourismus Börse (ITB) war am Wochenende vor Messebeginn wegen des Coronavirus Covid-19 (SARS-CoV-2) gecancelt worden, nachdem die Auflagen zum Gesundheitsschutz durch die Behörden drastisch verschärft worden waren.
Mit meinem President´s Letter vom vergangenen Montag habe ich meine Entscheidung verkündet, unsere Winter Conference am 12./13. März 2020 in Dresden stattfinden zu lassen. Ich habe begründet, warum ich diese Entscheidung getroffen habe, und alle Mitglieder unseres Verbandes dazu ermutigt, gegen die um sich greifende Panik ein Zeichen der Zuversicht zu setzen. Darauf kamen mehr Reaktionen als je zu einem President´s Letter in meiner Amtszeit zuvor. Ausnahmslos zustimmend. Oft nachdenklich. Allen, die uns hier und sich gegenseitig durch ihre Überlegungen und Vorbilder unterstützen: Danke! Gut, dass wir uns in diesem Verband, unserer GSA, so tatkräftig helfen! Gerade jetzt!
Ich hatte in meinem President´s Letter auch angekündigt, etwas zur Rechtslage zu sagen. Das hattet Ihr sicher nicht anders erwartet von einem GSA-Präsidenten, der gleichzeitig seit 24 Jahren Rechtsanwalt und fast ebenso lange Rechtslehrer an der Humboldt-Universität zu Berlin ist. Auch in meiner anwaltlichen Praxis beschäftigt mich – und mein Team, wir sind jetzt 23 Anwältinnen und Anwälte – der Virus zunehmend.
Die Erkenntnis daraus: Leider ist es, wie so oft in der Juristerei, nicht so einfach. Es gibt keine Schwarz-Weiß-Lösungen. Rechtsprechung fehlt, viele Meinungen sind vertretbar und derjenige, der meint, sein Vertragswerk wäre ein sicheres Fundament, sieht diese Gewissheit bei näherem Hinschauen zu Staub zerfallen. Dennoch will ich versuchen, das Thema für Euch zu strukturieren und die wesentlichen Argumentationslinien und Praxistipps mit Euch zu teilen. Das wird etwas länger. Es beginnt mit der Behörde und der höheren Gewalt.
Behörden
Natürlich gibt es Autoritäten, an denen man nicht vorbeikommt. So haben die Gesundheitsämter und Kommunen die Befugnis einzuschreiten, wenn sie das zur Abwehr von Gefahren für geboten halten. Ob in Deutschland eine Veranstaltung stattfindet, ist insoweit letztlich eine Einzelfallentscheidung der zuständigen Behörden, in der Regel also der Gesundheitsämter. Wird das Event verboten, kommt die Durchführung naturgemäß nicht in Betracht. Der Veranstalter muss und wird absagen.
In den meisten Fällen fehlt es an einer klaren Ansage einer Behörde. Da hat es der Veranstalter in der Hand, ob er durchführt oder absagt. In diesen Tagen fällt die Entscheidung oft zulasten eines Events aus – freiwillige Absage. Freiwillig? Manche Veranstalter werden sagen, sie konnten nicht anders. Das ist juristischer Unfug. Sie haben die Macht, über ihr Event zu entscheiden, wenn ihnen der Staat nicht etwas anderes gebietet.
Wenn das Event (wie wohl die Leipziger Buchmesse 2020) vor allem abgesagt wurde, weil der Veranstalter nicht gewährleisten kann, dass die Kontaktpersonen rückverfolgbar sind, dann entspricht das ausweislich der Presse einer behördlichen Auflage. Jeder Besucher sollte schriftlich versichern, dass er nicht in einem Risikogebiet war. Hilft das? Ist eine solche Unterschrift wirklich ein relevanter, gar verlässlicher Schutz? Die Messe meinte jedenfalls, sie könne das nicht gewährleisten. Erstaunlich, denn jeder muss doch eine Eingangskontrolle durchlaufen und warum sollte er dort nicht einen unterschriebenen Zettel abgeben können? Ist dies dann wirklich noch die Folge der behördlichen Auflage oder eher doch eine Ermessensentscheidung des Veranstalters?
Die Messe Stuttgart zeigt jedenfalls, dass es auch anders geht: Sie sagt ihre Veranstaltungen nicht ab und ergreift lieber ausreichende Vorsorgemaßnahmen, indem sie die Räumlichkeiten öfter reinigt und Handdesinfektionsmittel bereitstellt. Vor allem aber verwehrt sie Ausstellern aus Risikogebieten den Zugang zum Messegelände. Das Robert-Koch-Institut hat bestimmte Regionen in China, Italien, Südkorea und im Iran als Risikogebiete festgelegt. Wenn Teilnehmer Kontakt zu einer infizierten Person hatten, ist ihnen der Zugang ebenfalls untersagt. Die Absage von Veranstaltungen ist von der Messe Stuttgart nicht vorgesehen (online abrufbar unter: https://www.messe-stuttgart.de/besucher/aktuelle-informationen-coronavirus/).
Wonach richtet sich eigentlich die Entscheidung über Durchführung oder Absage?
Die juristischen Konsequenzen einer solchen Entscheidung richten sich nach Gesetz und Vertrag. Das Gesetz sagt indes herzlich wenig Spezifisches. Im Bürgerlichen Gesetzbuch, dem BGB, sucht Ihr vergebens nach der Kategorie „Eventvertrag“. Bei Inkrafttreten im Jahre 1900 kannte man Kauf und Miete, aber eben nicht viel mehr. Einige Vertragstypen sind seither ergänzt worden, aber nicht „Event“.
Verträge können mündlich oder schriftlich geschlossen werden. Im Profibereich ist die Schriftform der Regelfall. Dann wird zumeist auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) Bezug genommen. Oft will jede Partei ihre eigenen AGB einbeziehen und nicht selten widersprechen sich die beiden. Manche Vertragswerke sind gut gemacht, bei anderen schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen (ich unterrichte Vertragsrecht und Vertragsgestaltung an der Humboldt-Universität zu Berlin, das ist also ein wesentliches Betätigungsfeld von mir).
Blicken wir zunächst in das Gesetz, also das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Ein Speakervertrag ist in aller Regel ein Dienstvertrag (§ 611 Abs. 1 BGB) und nur in seltensten Ausreißerfällen ein Werkvertrag (§ 631 Abs. 1 BGB). Das ist für unsere Hauptfrage aber nur bedingt wichtig. Denn beide Vertragstypen können immer aus wichtigem Grund gekündigt werden, auch wenn das gar nicht im Vertrag steht. Ebenso gilt „höhere Gewalt“ für alle Verträge – unabhängig davon, ob dies im Text ausdrücklich erwähnt wird.
Höhere Gewalt
Wird eine Veranstaltung von der zuständigen Behörde verboten, so beruft sich der Veranstalter zur Rechtfertigung der Absage zuweilen auf die Unmöglichkeit der beiderseitigen Leistungserbringung aufgrund von „höherer Gewalt“. Höhere Gewalt ist ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes und auch durch die äußerste vernünftige Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis (BGH, Urteil vom 16.05.2017 – X ZR 142/15). Unter anderem fallen darunter hoheitliche Anordnungen, Epidemien oder ähnlich schwerwiegende Ereignisse.
Doch ist das Virus wirklich vergleichbar mit einer Seuche oder einer Naturkatastrophe? Das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesinnenministerium haben bereits einen Krisenstab eingerichtet und dieser hat in seiner zweiten Sitzung Beschlüsse zur Gesundheitssicherheit der Bevölkerung vor Corona-Infektionen gefasst. „Der Aufbau des Krisenstabs zeigt: Wir nehmen den Ausbruch des Coronavirus ernst und reagieren darauf, dass die Epidemie jetzt Deutschland erreicht hat”, so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (Quelle: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus.html). In der Regierungserklärung vom 4. März 2020 heißt es sogar: „Aus der Corona-Epidemie in China ist eine weltweite Pandemie geworden“ (https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/reden/regierungserklaerung-coronavirus.html). Das bedeutet: Man ist alert, die Behörden wachen aktiv. Aber ist der wissenschaftliche Nachweis einer echten Epidemie oder Pandemie dadurch erbracht? Sicher nicht. Institutionen einzurichten, ist kein Beweis für das Vorliegen der dadurch abzuwendenden Gefahr. Und eine Grippewelle wird auch nicht als „Epidemie“ und damit höhere Gewalt verstanden, dafür braucht es mehr. Im Falle von SARS wurde das Vorliegen von höherer Gewalt in den meisten Fällen von den chinesischen Gerichten angenommen. In Deutschland hingegen ist ein behördliches Verbot von Veranstaltungen wegen des Coronavirus jedenfalls bislang noch nicht erlassen worden.
Wenn eine Behörde das Event untersagt, ist das grundsätzlich zu befolgen. Allerdings hat jeder Betroffene hiergegen Rechtsmittel. Auch der Veranstalter muss prüfen, ob das Verbot rechtmäßig ist. Er kann nicht einfach canceln und sich auf einen formal korrekten Bescheid berufen, wenn er doch inhaltlich erkennbar falsch und rechtswidrig ist. Sagt der Veranstalter zu früh ab und stellt ein Gericht später fest, dass er offensichtlich mit Erfolg hätte gegen die Untersagungsverfügung vorgehen können, dann muss er den Schaden seiner Speaker und Dienstleister ersetzen. Aber ist die Rechtswidrigkeit so klar „erkennbar“ in Zeiten zunehmender, echter, auch nicht gänzlich unbegründeter Besorgnis – schließlich geht es um Leben oder Tod, wenn es jemanden trifft? In Zweifelsfällen ist zu erwägen, ob der Veranstalter Rechtsmittel einlegt, um – gegebenenfalls im Eilverfahren – überprüfen zu lassen, on ein Gericht die Behördenentscheidung bestätigt. Eine Gerichtsentscheidung bringt den Veranstalter eher auf die sichere Seite als der Verwaltungsakt allein.
Wirtschaftliche Unmöglichkeit
Liegt keine direkte Absage der Behörde vor, so entscheidet der Eventveranstalter nach eigenem Ermessen. So könnte für ihn etwa ein Fall der wirtschaftlichen Unmöglichkeit vorliegen. Von wirtschaftlicher Unmöglichkeit spricht man, wenn der Leistungserfolg grundsätzlich erreichbar wäre, allerdings nur mit extremem Aufwand, der nicht im Verhältnis zum Resultat steht. Ein Beispiel könnte die Absage ITB Berlin sein. Die weltgrößte Reisemessewurde fünf Tage vor Veranstaltungsbeginn abgesagt. Begründet wurde dies mit den verschärften behördlichen Auflagen. Die zuständige Behörde hatte das Stattfinden der Messe nicht verboten, aber an hohe Anforderungen geknüpft. Ob sie für den Veranstalter aber wirklich wirtschaftlich und logistisch unterfüllbar waren? Für den Außenstehenden ist das schwer, oft gar nicht zu beurteilen.
In den meisten Fällen wird eine Veranstaltung hingegen präventiv abgesagt, um die Gesundheit der potenziellen Teilnehmer zu schützen. In diesem Stadium muss für die Annahme von höherer Gewalt eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass das Ereignis – hier eine Ansteckung mit Corona 19 – eintritt und sich unmittelbar auf das Vertragsverhältnis auswirkt. Sicher keine höhere Gewalt liegt vor, wenn die tatsächlichen Auswirkungen des Risikos im Vergleich zu anderen Gesundheitsrisiken gering eingeschätzt werden.
Wichtiger Grund
Wird eine höhere Gewalt abgelehnt, so stellt sich die Frage, ob der Veranstalter aus wichtigem Grund kündigen kann. Das ist der Fall, wenn dem Veranstalter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Rede nicht zugemutet werden kann.
Ob das Coronavirus einen wichtigen Grund darstellt, ist fraglich. Schließlich besteht im Grunde lediglich eine abstrakte Gefahr – man ist ja nicht sicher, dass vor Ort jemand den Virus in sich trägt. Die Ansteckungsgefahr selbst ist möglicherweise auch kein ausreichender Grund dafür, ein Event komplett abzusagen. Besondere hygienische Vorsichtsmaßnahmen hätten die Gefahr vielleicht ausreichend eingedämmt. Der Veranstalter hätte also auch weniger drastische Maßnahmen ergreifen können, so könnte man argumentieren. Die fristlose Kündigung aus „wichtigem Grund“ ist lediglich eine Ultima Ratio, die letzte Maßnahme, wenn kein milderes Mittel in Betracht kommt.
Aber natürlich gibt es, wie immer in der Juristerei, auch gute Gründe für die gegenteilige Meinung. Ist es nicht eigentlich egal, könnte man fragen, ob es den Virus mit derart weitreichenden Gefahren überhaupt gibt oder ob das Ganze nur Auswüchse einer hysterischen Medienkampagne im Frühjahrsnachrichtenloch sind? Denn wenn die Bevölkerung sich nun einmal persönlich und unmittelbar bedroht fühlt – hier sprechen der Ausverkauf von (vielleicht sinnlosem) Mundschutz und die Hamsterkäufe eine klare Sprache –, dann geht sie nicht zu Veranstaltungen. Und das könnte allemal Grund genug sein für einen Veranstalter, abzusagen. Schließlich ist es für ihn ein „wichtiger Grund“, wenn er nicht mehr seriös mit nennenswerten Teilnehmerzahlen rechnen kann.
Welche dieser zwei Wahrheiten ist nun die „richtigere“? Das wird im konkreten Fall wohl nur ein Gericht sagen. Keine schöne Erkenntnis, denn man möchte Planungssicherheit genießen, aber so ist es doch oft in unserem pluralistischen Rechtsstaat, solange es kein Machtwort oberer Instanzen gibt. Das dauert.
Damit wird oft nicht sofort und ebenso oft niemals ermittelbar sein, ob die jeweilige Absage „berechtigt“ oder „unberechtigt“ war. Bei behördlicher Untersagung ist die Absage gerechtfertigt. In allen anderen Fällen liegt es im (richterlichen) Auge des Betrachters, ob die Absage durch „höhere Gewalt“ (eher nicht) oder einen „wichtigen Grund“ begründet und damit rechtskonform ist. Liegen höhere Gewalt oder ein wichtiger Grund vor, dann ist die Kündigung des Vertrages mit Speakern jedenfalls erst einmal rechtmäßig. Ist das aber nicht der Fall, bleibt der Vergütungsanspruch der Speaker erstmal bestehen.
Das gilt unabhängig von den zugrunde liegenden Verträgen. Eine Kündigung aus wichtigem Grund kann nämlich nach deutschem Recht nie wirksam ausgeschlossen werden. Auch nicht, wenn etwas anderes im Vertrag steht. Diejenigen, die sich entspannt zurücklehnen und meinen, ihre Verträge seien eine sichere Bastion, werden rasch ihre Illusionen verlieren, wenn ein Gericht ihnen erklärt, dass dem „wichtigen Grund“ keine Regelung standhält.
Absage und Ansprüche
Die Rechtmäßigkeit der Kündigung sagt nicht unbedingt viel aus über die Ansprüche der Beteiligten. Hier könnte es durchaus auf die Verträge und die AGB ankommen. Sehen die AGB – die noch dazu wirksam einbezogen sein müssen! – vor, dass bei Absage noch 100 oder 70 oder 50 Prozent oder ein anderer Prozentsatz vom Honorar zu zahlen ist, muss geprüft werden, ob diese Klausel einer kritischen Prüfung standhält.
Das, was mehr als zweimal verwendet wird (es reicht sogar, dass es verwendet werden soll!), sind die AGB. Im realen Leben gibt es daher fast nur AGB und so gut wie nie echte „Individualverträge“ (das wäre das Gegenstück dazu). AGB sind für die Gegenseite des „Verwenders“ besonders gefährlich. Er könnte nämlich versuchen, im Kleingedruckten Regelungen unterzujubeln, die seinen Vertragspartner benachteiligen. Davor will der Gesetzgeber schützen. AGB-Klauseln sind deswegen unwirksam, wenn sie unangemessen sind. Was das bedeutet, ist wieder – Ihr ahnt es schon – eine Frage des Einzelfalls. Rechtsprechung dazu, ob eine Klausel angemessen ist, nach der ein Speaker bei höherer Gewalt, also ohne, dass der Verwender etwas dafür kann, den Auftritt verliert, fehlt bislang.
Angenommen, man hätte keine AGB mit „Ausfallgeld“, wird die Rechtslage dadurch nicht übersichtlicher. Macht der Speaker Ansprüche gegen den Veranstalter geltend, dann ist zuerst zu klären, inwiefern der jeweilige Veranstalter die Absage verschuldet hat. Man spricht vom sogenannten „Vertretenmüssen“. Die Beantwortung der Verschuldensfrage ist essentiell für spätere Schadensersatzansprüche. Hat der Veranstalter die Absage nämlich nicht zu verschulden, muss er für aus der Absage resultierende Schäden nicht einstehen.
Mit dem Verschulden ist es so eine Sache. Kann man wirklich sagen, ein Veranstalter handelt vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig gegen seine Pflichten, wenn er in der aktuellen Situation eine Veranstaltung aus Vorsichtsgründen absagt? Manche werden das bejahen und argumentieren, das Virus sei statistisch gar nicht so relevant. Im Grunde trifft man hier auf ähnliche Argumente wie oben schon im Zusammenhang mit dem „wichtigen Grund“ dargestellt.
Was ist nun zu tun?
Im Resümee bedeutet das alles: Die Rechtslage ist nicht eindeutig zu beurteilen, und das sogar dann, wenn ein Vertrag scheinbar sichere Regeln enthält. Das ist der Moment, wo es typischerweise besser ist, sich mit dem Veranstalter zu einigen, anstatt vor Gericht sein Glück zu versuchen. Wer vor Gericht zieht, hat Unsicherheiten, Kosten, Wartezeiten, und nur eines ist ziemlich gewiss: Dass dieser Kunde kein Kunde mehr ist.
Ersatztermin
Ist die Veranstaltung lediglich verlegt und nicht abgesagt worden, dann erklärt der Veranstalter damit seine Bereitschaft, seiner Leistungspflicht weiterhin, jedoch zu einem verspäteten Zeitpunkt, nachzukommen. Ein Beispiel ist die Hannover Messe, welche aufgrund von Corona von April auf Juli 2020 verschoben worden ist. Die Ankündigung, die Veranstaltung an einem anderen Termin nachzuholen, stellt ein erneutes Angebot durch den Veranstalter dar, welches der Vertragspartner aber nicht zwingend annehmen muss. Eine Annahme eines solchen Angebots kann beiderseitig ausschließlich aus Kulanz erfolgen. Ein Rechtsanspruch besteht nicht.
Verhandlungssache
Ein Ersatztermin ist sicher oft die beste Lösung. Zwar stellen neue Termine immer neue Koordinationsaufgaben dar. Aber das ist immer noch besser, als Kunden und Honorar gänzlich zu verlieren. Es könnte sich daher anbieten, dass Ihr, wenn Ihr mit einer Absage oder zumindest der Ankündigung einer Absage konfrontiert seid, darauf positiv reagiert: Chancen nutzen, nicht den Konflikt heraufbeschwören. „Vernünftige Entscheidung“, könntet Ihr dem Vertragspartner schreiben: „Ich hätte es auch so gemacht an Ihrer Stelle. Wie wäre es, wenn ich die Keynote ersatzweise im September halte und den Workshop im Oktober durchführe? Der Bedarf wird ja nicht durch Corona entfallen sein? Ich biete Ihnen an, dass Sie mir für dieses Mal die Kosten für Hotelbuchung und eine Pauschale für den bisherigen Zeitaufwand erstatten. Dafür würde ich Ihnen pauschal XY berechnen, und dann geht es etwas später weiter.“
Aber Achtung: Wer so schreibt, nimmt sich zugleich den Wind aus den Segeln, wenn das Ganze dann doch juristisch ausgetragen werden soll. Ihr erinnert Euch: Es kommt auf die Rechtmäßigkeit der Absage und auf das Verschulden an. Ist einmal anerkannt worden, dass man dem anderen nichts vorwerfen kann, dann sind solche Ansprüche erledigt. Ihr müsst Euch also im Vorfeld überlegen, mit wem Ihr es zu tun habt und was man mit welcher Tonalität am besten erreicht.
Ansprüche auf Kostenersatz (Hotelbuchung etc.) gibt es übrigens auch nicht automatisch. Hier kommt es wieder darauf an, ob Eure konkret vereinbarte Tätigkeit eher den Charakter eines Dienstvertrages (Ihr steht auf der Bühne und erzählt „irgendwas“, nur die Tätigkeit ist relevant) oder eines Werkvertrages (ein konkretes Ergebnis ist geschuldet, das ist greifbar – im Speakerbereich fast nie) hat. Beim Werkvertrag können Aufwendungen auch dann ersetzt verlangt werden, wenn die Kündigung rechtmäßig war.
Weitere Vorschläge
Was könnt Ihr einem Veranstalter sonst vorschlagen? In der Membergruppe der GSA auf Facebook kursieren schon Tipps, und das ist wirklich inspirierend. Dort wird etwa berichtet, dass der Veranstalter zwar abgesagt, aber seinen Teilnehmern das Buch des betroffenen Speakers zugesandt hat – auch eine schöne Idee, Einnahmen zu generieren und zumindest so Wirkung zu erzeugen. Oder es wird auf die Möglichkeit von Online-Vorträgen und -Seminaren hingewiesen, zu denen man sich nicht physisch versammeln muss. Es lohnt sich – auch insoweit! –, die Facebook-Gruppe der GSA zu besuchen!
Was steht am Ende? Fast ist man versucht, wieder einmal Bertolt Brecht zu zitieren („Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ – Der gute Mensch von Sezuan). Das gilt für die juristische Seite. Vieles ist ungeklärt, das lässt umso mehr Raum für das Gespräch oder die Verhandlung. Gespräche mit Kunden zu führen, ist eine gute Gelegenheit, Bindungen zu verstärken. Gilt das nicht gerade in der Not? Der Kunde, der empfindet, dass Ihr an seiner Seite steht, und zwar gerade dann, wenn ihm der kalte Wind von vorne ins Gesicht bläst; dass Ihr nicht zum Problem werdet, sondern nach Lösungen sucht; dass Ihr versteht und ihn nicht alleine lasst: Kann das nicht Euer treuester Kunde werden?
Nehmt diese, wie man heute so schön sagt, „Herausforderung“ positiv an. Steht zu dem Kunden, gebt Eure Interessen dabei nicht auf. Findet einen guten Kompromiss. Und stärkt Eure Stellung am Markt.

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