… und dann kommt der Moment, an dem uns unser fertig gesetztes Buch als PDF vorliegt. Man nennt diesen Punkt die „Druckfahne“ oder auch den „Umbruch“. Der nächste Schritt ist die Übermittlung an die Druckerei. Dann ist unser Buch fertig! Wir haben in den letzten Wochen und Monaten viel Energie, Unmengen Gedanken und auch den einen oder anderen emotionalen wie physischen Schweißtropfen hineingegeben. Wir sind verführt zu denken: „Wird schon alles passen“ und die Druckfahne einfach abzunicken. Hauptsache, dat Ding kommt jetzt schnell raus in die Welt!
Stopp. Hole an dieser Stelle noch einmal tief Luft. Gieße dir ein leckeres Getränk ein und geh die Prüfung deiner Druckfahne mit voller Konzentration an. Denn was hier in der Fahne geschrieben steht – steht nachher von dir draußen in der Welt. Und da sind schon die dollsten Sachen passiert … Viel Spaß mit der heutigen Folge!
Spatzenkämmen. So nennt meine erfahrene Autorenkollegin aus München diesen Moment. Noch einmal Wort für Wort, Zeile für Zeile, gefühlt zum hundertsten Mal durch unseren Text zu gehen, das ist, wie wenn man einem winzig kleinen Spatzen mit einer noch winzigeren Bürste zart das Gefieder bürstet. Höchste Konzentration gefordert!
Eigentlich mag man an diesem Punkt nicht mehr. Das Buch soll nun endlich raus auf den Markt und die Bestseller-Listen stürmen! Dennoch ist dieser Abschnitt wichtig. Ich zeige dir gleich anhand von 2 Beispielen, warum.
Bündele noch einmal wie ein Marathonläufer auf den letzten Kilometern alle Mentalkräfte (und auch die Po-Muskeln), sichere dir vorab schon eine besonders angenehme Belohnung zu und dann arbeite dich in kleinen Häppchen (Salami-Taktik) durch diesen finalen Prüf-Schritt. (Ich kann dir jetzt schon sagen: Wenn du einmal eine Druckfahne von 350 Seiten und mehr geprüft hast, schreibst du beim nächsten Mal garantiert ein kürzeres Buch. Denk an mich ;-))
Große Verlage wissen um die Wichtigkeit dieses Steps. Sie beauftragen in der Regel eine/n externe/n Korrektor/in, um diese Prüfung vorzunehmen. Parallel dazu holen sie die schriftliche Druckfreigabe von den Autor:innen ein. Was danach noch an Fehlern im Manuskript enthalten ist, ist Sache der Autor:innen.
Das mag hart klingen, macht aber durchaus Sinn! Denn keiner kennt dein Werk so gut wie du. Darum sollte die Verantwortung bei dir bleiben. Außerdem ist es juristisch wichtig und auch von Zeit und Kosten her entscheidend. Es soll Autor:innen geben, die sonst Endlosschleifen mit ihren Verlagen drehen, weil ihnen immer noch etwas auffällt. Und der Erscheinungstermin schiebt sich und schiebt sich …
„Was soll schon groß passieren?“, denkst du jetzt vielleicht. „Alle Beteiligten haben sicher gut aufgepasst beim Setzen meines Buches“ …
Zwei Beispiele, die zeigen, wie wichtig die finale Prüfung der Druckfahne ist:
1. Beispiel: In einer bekannten Kinderbuch-Reihe für Kinder ab 6 Jahren eines großen Verlagshauses wurden in der Mitte des Buches erotische Geschichten abgedruckt. Zwar verkehrt herum, um 180 Grad gedreht, aber dennoch höchst erotisch!
2. Beispiel: In einem Ratgeber, den eine große deutsche Verlagsgruppe herausbrachte, wurde versehentlich die vorletzte Manuskriptfassung abgedruckt – statt der finalen Textfassung. Dazwischen lagen einige Änderungen.
Beides äußerst unschön!
Man stelle sich in Beispiel 1 die verdutzten (nach anfänglicher Überraschung vielleicht vergnügten) Gesichter der Kinder vor. Auch die Fassungslosigkeit bzw. den Ärger der Eltern, wenn sie das Buch zufällig in der Mitte aufschlagen und darin lesen … Man stelle sich den Schaden vor, den der Autor und die ganze Buch-Reihe nehmen (zweitranging sicherlich angesichts der zuerst genannten Punkte, dennoch unternehmerisch ein Desaster).
Auch in Beispiel 2 entstand großer Schaden. Denn von dem Werk waren 12.000 Exemplare frisch für die Frankfurter Buchmesse gedruckt worden, wie mir ein zerknirschter Lektor bei einem Messe-Kaffee anvertraute. Vom Zorn des Autors, der auf den Verlag niederging und sich mit Sicherheit auch im Internet verbreitete, ganz zu schweigen.
Der Fehler lag hier, wie auch in Beispiel 1, bei der Übermittlung der Text-Version aus dem Lektorat bzw. Korrektorat in die Herstellungsabteilung:
Fleißige Grafiker:innen verbrachten Stunden und Tage über der falschen Version und erstellten auf dieser Basis aufwändig die Druckfahne …
Ende vom Lied: Das gesamte Buch musste neu gesetzt werden, 12.000 neue Exemplare gedruckt und 12.000 unbrauchbare Bücher eingestampft werden. Eine Menge Holz. Viele Bäume.
Ach, da fällt mir sogar noch ein drittes Beispiel ein, das zeigt, dass wir Menschen eben keine Maschinen sind und besser vier Augenpaare statt nur zwei auf wichtige Drucksachen schauen: Denn wenn wir einen Text zu gut kennen oder ihn nur oberflächlich scannen, fallen uns manchmal die gröbsten Schnitzer nicht mehr auf. Ein ebenfalls befreundeter Lektor vertraute mir an, dass auf dem Buchrücken eines Rheinland-Pfalz-Kochbuchs gleich drei Fehler versteckt waren. Drei! In einem Buchtitel von nur drei Worten!
Angesichts dieser Beispiele, die nur eine kleine Auswahl dessen sind, was in der Verlagswelt (und natürlich auch in der Selfpublishing-Welt) passieren kann, scheint es nur logisch und sinnvoll, dass wir als Autor:innen noch mal „eben kurz“ über die Druckfahne schauen, oder?
Wenn du partout keine Zeit oder keine Lust hast, dir die Prüfung anzutun, bitte jemanden aus deinem Umfeld oder einen Profi, der/die dies mit Freude und Konzentration für dich erledigen kann. Scheue auch hier keine Kosten und Mühen. (So teuer ist das Ganze nicht: Ich kann dir jemand Tolles empfehlen.) Doch, wie gesagt: Niemand kennt deinen Text so gut wie du als Verfasser/in!
Hier einige Hilfestellungen und Anhaltspunkte, worauf du bei der Prüfung der Druckfahne besonderes Augenmerk legen solltest: (Druck dir diese Liste aus oder überreiche sie demjenigen, der die Fahne für dich korrigiert!)
1. Stimmen die Überschriften im Inhaltsverzeichnis mit den Überschriften in den jeweiligen Kapiteln überein?
2. Ist das Inhaltsverzeichnis vorhanden und vollständig? Hat es Seitenzahlen?
3. Stimmen die Seitenzahlen im Inhaltsverzeichnis mit dem Beginn der jeweiligen Kapitel überein?
4. Stimmen die Querverweise im Buch: Verweist du auf Seiten, auf denen das Gesagte dann auch wirklich auftaucht – oder hat sich im Layout etwas verschoben?
5. Wurden die Schriftgrößen und Schrifttypen der Überschriften, Unterüberschriften und des Fließ-Textes konsequent eingehalten? (Hauptüberschriften sind größer als Unterüberschriften)
6. Sind alle Textteile fett oder kursiv gesetzt, die in der Word-Vorlage fett oder kursiv von dir angelegt waren?
7. Sind bullet points bei Aufzählungen sauber untereinander angeordnet oder wurde versehentlich etwas falsch eingerückt? In Tabellen oder Listen: Sitzt alles zentriert oder konsequent links- bzw. rechtsbündig?
8. Sind alle Textteile des gesamten Manuskripts enthalten: alle Kapitel, alle Absätze, alle Abbildungen? Fehlt etwas? Wurde etwas doppelt gesetzt?
9. Ist die Seite über dich („Über den Autor“) am Schluss eingefügt? Sind deine Kontaktdaten enthalten? (wichtig!)
10. Tragen alle Bilder, Grafiken, Fotos und Abbildungen kurze Bildunterschriften und Quellennachweise?
11. Sind im Impressum alle Bild-Nachweise von Urhebern, Fotografen usw. erbracht?
12. Sind noch letzte Fehlerteufelchen zu finden, fehlende Kommata, fehlende Buchstaben, kleinere Verdreher?
Ein wichtiges Wort zu Punkt 12: Es geht hier nur noch um die finale Korrektur von Fehlern, nicht mehr um größere Text-Änderungen, weil dir vielleicht inzwischen eine andere Formulierung besser gefällt!
Ich kann dir versichern: In einem halben Jahr würdest du dein Buch sowieso anders schreiben.
Es treibt Grafiker:innen und Verlage in den Wahnsinn, wenn Autor:innen an dieser Stelle anfangen, das halbe Buch neu zu schreiben. Ich spreche aus Erfahrung.
Konzentriere dich wirklich rein auf die Fehlerkorrektur – es sei denn, eine Formulierung ist tatsächlich nicht korrekt ausgedrückt und bedarf einer (kleinen) Nachjustierung, weil du (oder jemand anderes) sonst nicht ruhig schlafen kann.
Und dann geht es los … Der Countdown läuft. Jetzt zählt´s – jetzt wird es gedruckt. DEIN BUCH.
Mein Tipp, wenn du Selbstverleger/in bist: Drucke nicht gleich mehrere Tausend Exemplare deines Buches. Bestelle zunächst einen Probedruck.
So kannst du bzw. dein Grafiker noch schnell nacharbeiten, sollte etwas verrutscht sein (z. B. der Buchtitel auf dem Buchrücken nicht ganz mittig sitzen). Gerade wenn man mit einer bestimmten Druckerei noch nicht gearbeitet hat und die Toleranzen der Druckmaschinen nicht kennt, sollte unbedingt ein Probedruck erstellt werden. Erst wenn alles passt, solltest du eine größere Auflage drucken.
Ich hoffe, ich konnte dir – allen Widerständen zum Trotz, die vielleicht bei diesem Schritt in dir aufkommen oder aufkamen – zeigen, wie wichtig dieser Schritt ist.
Ich erinnere mich noch gut, dass ich im Jahr 2012 meine Literaturagentin anrief, als ich meine erste Druckfahne vom Verlag bekam. Die Damen aus der Herstellungsabteilung hatten im Manuskript einige Stellen markiert, die noch leicht gekürzt oder ergänzt werden sollten, damit sich grafisch ein professionelles Bild ergab.
(Wer mehr zu diesem Thema wissen möchte, googelt „Schusterjungen“ und „Hurenkinder“. Ja, sie heißen wirklich so.)
Ich war verärgert. Das Manuskript war doch fertig. Noch mal hier und da 1-2 Zeilen kürzen oder dazuschreiben?! Das ging mir total gegen den Strich. Ich erinnere mich, dass ich meiner Agentin die Frage stellte: „Müssen Doris Dörrie und John Irving das auch machen?“
„Ja, sie müssen das auch machen“, war ihre Antwort. Nicht happy, aber etwas besänftigter machte ich mich an die Arbeit … und kämmte meinen Spatzen.
Kämme auch du deinen Spatzen, dein Buch-Baby, liebevoll, bevor es final auf die Welt kommt. Widme dich diesem letzten, entscheidenden Schritt mit der gleichen Hingabe und Aufmerksamkeit wie dem Schreiben selbst. Auch wenn´s schwerfällt. Der Moment geht vorbei!
Belohne dich mit einer Köstlichkeit oder einem schönen Spaziergang in der Natur.
In der nächsten Folge widmen wir uns einer Frage, die mir interessanterweise oft gestellt wird, noch bevor die jeweiligen Autor:innen auch nur eine Zeile zu Papier gebracht haben.
Die Frage lautet: „Soll ich mir von einer bekannten Persönlichkeit ein Vorwort schreiben lassen?“ Ich bin gespannt, wie du darüber denkst, und schreibe dir in der nächsten Folge meine Einschätzung dazu.
Bis dahin mach es gut – und schreib dein Buch!
Karen Christine Angermayer
Autorin, Ghostwriterin, Buch-Coach
KAREN CHRISTINE ANGERMAYER ist international erfolgreiche Autorin von mehr als 30 Büchern bei 7 großen Verlagen und regelmäßig als Ghostwriterin für Trainer, Coaches und Speaker tätig. Ihre Bücher wurden u. a. zu SPIEGEL-Bestsellern und große Verlagshäuser kommen auf sie zu, um neue Ideen für Serien zu entwickeln. In den letzten 8 Jahren war sie darüber hinaus auch als Verlegerin tätig – sie kennt also alle Seiten des Schreibtischs.
Gerade frisch erschienen ist ihr Buch „Schreiben. Verlegen. Vermarkten: Erfolgreich zum eigenen Experten-Buch“. Als gedrucktes Buch und E-Book zu kaufen überall, wo es gute Bücher gibt.
Ihre Leidenschaft fürs Schreiben ist bereits in der Kindheit entflammt. Nach einem kurzen Umweg in die Welt der Zahlen und einem Diplom in Photoingenieurwesen an der FH Köln kehrte sie ganz schnell wieder in die Welt der Geschichten zurück. Seit inzwischen 22 Jahren ist ihre Liebe zum Schreiben eigener Bücher und der Unterstützung anderer Menschen beim Schreiben lebendig und voller Leidenschaft.
Zusammen mit ihrem starken Team aus Lektorat, Korrektorat und Buchdesign hilft sie Trainern, Coaches und Speakern von der ersten Idee über den Schreibprozess bis hin zum fertigen Buch. So entstehen jedes Jahr ca. 50 neue Bücher, die sie entweder selbst schreibt oder berät und begleitet.
Privat ist sie Mutter von 2 Teenagern und pendelt zwischen 2 Orten in Deutschland und ins sonnige Ausland. Sie weiß daher genau, wie wichtig strukturiertes Arbeiten und ein gutes Schreibmanagement sind – und genau dies vermittelt sie auch ihren Kunden.
Ihre Leistungen werden in vielen Fällen staatlich gefördert.
Kontakt: hallo@angermayer-sorriso.com

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