von Karen Christine Angermayer

Im Frühjahr und Herbst packt die meisten von uns das große Aufräumen. Wohnung, Haus, Keller, Garage und Dachboden werden gnadenlos entrümpelt, gesäubert und sortiert. Was viele nicht wissen: Auch in unserem Geist ist gezieltes Entrümpeln und Leermachen wichtig, um klare Gedanken zu fassen. Nicht nur, dass uns täglich eine große Welle von „Digital-Müll“ erreicht (Informationen, um die wir gar nicht gebeten haben und die uns genau genommen nichts nützen und auch keine Freude machen). Auch die Informationsflut durch Briefe, Schriftstücke, Gespräche, Meetings ist enorm. Kein Wunder, dass viele nicht das Buch schreiben, das sie schon lange schreiben wollen. Es ist gar kein Raum im Kopf dafür!

In dieser Folge teile ich mit dir meinen absoluten Spitzenreiter unter den Entspannungsmethoden: die Morgenseiten von Julia Cameron. Julia begleitet mich mit ihren Büchern seit über 20 Jahren. Immer wieder schaue ich auch heute noch hinein und finde wertvolle Anregungen. Die Morgenseiten haben vor gut 20 Jahren bei mir bewirkt, dass ich meine Festanstellung gekündigt und in die Selbständigkeit gewechselt bin. Sie entspannen also nicht nur, sie bewegen auch was!

Warum überhaupt mental entrümpeln? 2 gute Gründe sprechen dafür.
Schon morgens, wenn wir aufstehen, überrollen uns die Gedanken, die sich um die kommenden Stunden drehen. Dabei geht es um Privates, Berufliches, nach der Arbeit wieder um Privates. Oft beschäftigt uns auch der Beruf noch am Abend oder am Wochenende.

Wer die Morgenseiten wirklich am Morgen schreibt, direkt nach dem Aufstehen, ist überrascht, was ihm da alles durch den Kopf geht! Es sind To-Do´s, kleine und große Aufregungen, Ärgernisse, Ängste, Unsicherheiten, Gedanken an bevorstehende Gespräche, nachklingende Worte eines Streits oder einer Diskussion … Eigentlich müsste unser Kopf schon am Morgen Tonnen wiegen. So viel ist in ihm drin.

Und genau darum machen wir ihn am besten morgens gleich wieder leer. Das macht um einige gedankliche Kilos leichter (leider nicht auf der Waage, wobei, wer weiß?) und hilft uns, uns wieder konzentrieren und fokussieren zu können – z. B. auf das Schreiben oder auch auf ein bevorstehendes, wichtiges Gespräch.
Wie die Morgenseiten funktionieren, erkläre ich dir gleich.

Der zweite Grund schließt sich nahtlos an den ersten an. Nur wo Platz ist – da ist Raum für Neues!

Wer alles auf dem Papier entleert, was ihm im Kopf herumschwirrt, der schafft Raum für neue Gedanken, neue Ideen. Mir sind auf den Morgenseiten tatsächlich schon neue Buch-Ideen und Figuren für Romane, Sachbücher und Ratgeber begegnet. Dazu musste erst mal das ganze Alte raus. Denn interessanterweise wird ein Gedanke nicht leichter, je länger wir an ihm herumdenken – er wird oft immer schwerer oder bleibt gleich belastend. Schreiben wir ihn jedoch auf – ist er auf magische Weise draußen aus dem Kopf. Weg!

Das Gute ist: Was auf Papier ist, geht nicht verloren. Es ist fixiert, man kann es nachlesen. Der Kopf ist befreit von der Aufgabe, ständig die vielen Gedankenbälle in der Luft zu halten und zu jonglieren. Das ist auf Dauer anstrengend. Besser also aufs Papier damit – und das Unnötige gleich in den „mentalen Papierkorb“.

Morgenseiten schreiben: So funktioniert´s

Alles, was du dafür benötigst, sind drei Seiten Papier und ein Stift.
Schreib das Datum auf die erste Seite und dann schreib los. Ja, einfach losschreiben. Folge dem Strom deiner Gedanken, ohne nachzudenken. Schreib über deine Frisur, den Geburtstag von Tante Gisela, das Meeting mit Google übermorgen …

Die Morgenseiten sind keine Kunst und keine Literatur. Sie sind nur für dich bestimmt. Anders als das Tagebuch halten sie den Tag nicht fest, wenn er schon vorüber ist, sondern sie halten das fest, was da ist, bevor der Tag beginnt. Morgenseiten machen also „Ruhe im Karton“. Gleichzeitig liefern sie uns nach einer Weile Lösungen und Ideen, nicht nur fürs Schreiben, sondern auch fürs sonstige Leben!

Für die drei Seiten brauche ich ca. 15 Minuten. Schreibe die drei Seiten bis zum Ende von Hand, ganz egal, wie gut oder schlecht lesbar deine Schrift ist. Hör nicht früher auf. Nach etwa anderthalb Seiten hat man oft das Gefühl, es sei alles gesagt und der Kopf sei schon frei. Kann sein. Halte trotzdem durch. Manchmal findet der Durchbruch erst auf der dritten Seite statt.
Du kannst die Morgenseiten auch zu anderen Tageszeiten schreiben. Richtig befreit und „leer“ startest du in den Tag, wenn du sie morgens schreibst.

Lege dir ein Notizbuch zu oder schreib auf leerem Kopierpapier. Jede Art von Papier funktioniert, jeder Stift tut es. Wichtig ist einfach nur, für 3 Seiten die Hand übers Papier zu bewegen. Kommen Gedanken mehrmals, schreib sie einfach wieder und wieder auf, bis der nächste Gedanke kommt. Halte die Hand in Bewegung. Schreibe so schnell wie möglich. Denke nicht nach.

Wichtig: Die Morgenseiten sind nur für dich bestimmt. Gib sie niemand anderem zu lesen. Lege die geschriebenen Seiten oder dein Notizbuch an einem Ort ab, der nur für dich zugänglich ist.

Übrigens: Dieser sog. „stream of consciousness“ hilft dir übrigens auch dabei, deine Intuition wieder zu hören, dein Bauchgefühl. Dieses zarte Stimmchen geht oft im Alltag unter. Bewusste Auszeiten, sei es durch eine kurze Meditation oder eben durch die Morgenseiten, verschaffen deiner Intuition wieder Gehör.

Außerdem trainierst du mit den Morgenseiten deine Kreativität und das unzensierte Schreiben, das vielen von uns in der Schulzeit abhanden gekommen ist.

Mein Tipp für dich heute: Wenn du morgens partout keine Zeit hast, die Morgenseiten zu schreiben, schreib sie am Mittag oder Abend. Auch nach einem aufwühlenden Telefonat oder Gespräch wirken schon 1-2 Seiten Wunder. Dein Kopf wird klarer, freier und du hast wieder Kapazität, dich auf die nächsten wichtigen Aufgaben zu konzentrieren. Am besten funktionieren 3 Seiten, doch 1-2 sind besser als nichts.

Noch eine interessante Geschichte möchte ich dir abschließend dazu erzählen: Ich habe die Morgenseiten vor vielen Jahren einer meiner besten Freundinnen empfohlen. Sie fuhr zu der Zeit gerade mit ihrer Familie in den Urlaub nach Jamaica. Nach dem Urlaub kam sie zurück und sagte: „Christine, was hast du mir denn da empfohlen? Ich schrieb die Morgenseiten immer morgens im Bad im Hotel, weil das der einzig ruhige Ort im Urlaub war. Was soll ich sagen? Nach ein paar Tagen fand ich mich heulend auf dem Klo sitzend, die Morgenseiten auf dem Schoß. Da ist ganz schön was in Bewegung gekommen. Gut, dass du mir das nicht vorher gesagt hast!“ Wir lachen heute noch darüber.

Ich kann dich beruhigen. Solche Geschichten passieren nicht notwendigerweise. Aber die Morgenseiten bringen wirklich was in Bewegung – im Positiven. Genieße die tiefe Verbindung zu dir selbst, die dir die Morgenseiten schenken. Sei neugierig auf das, was dir begegnet.

Ich wünsche dir ganz viel Spaß beim Ausprobieren. Wir lesen uns in der nächsten Folge wieder, in der es um die schnelle Produktion guter Ideen geht. Eine wichtige Eigenschaft, gerade, wenn der Abgabetermin für dein Buch naht.

Bis dahin mach es gut, gibt auf dich acht – und schreib dein Buch!

Karen Christine Angermayer
Autorin, Ghostwriterin, Buch-Coach, zertifizierte BAFA-Beraterin

KAREN CHRISTINE ANGERMAYER ist international erfolgreiche Autorin von mehr als 25 Büchern bei 7 großen Verlagen. Als Ghostwriterin und Verlegerin der sorriso GmbH hat sie in den letzten 5 Jahren über 50 Projekte von der ersten Idee bis zum vertriebsreifen Buch betreut. Als Beraterin für Speaker, Trainer und Coaches begleitet sie in den Phasen Dramaturgie, Exposé, Manuskript, Verlagssuche, Kalkulation, Herstellung und Vermarktungskonzepte. Sie ist zertifizierte BAFA-Beraterin und berät Unternehmen zu den Themen Sichtbarkeit, Positionierung, Online- und Offline-Marketing, Funnels und Veröffentlichungen. www.angermayer-sorriso.com