Vor einiger Zeit besuchte ich eine Konferenz, auf der ein junger Vertriebsreferent die Bühne betrat. Dieser aufstrebende Mann schien gerade die Entdeckung seines Lebens gemacht zu haben. Robert Cialdini, ein Psychologieprofessor, der ein bemerkenswertes Buch verfasst hatte – ein echtes Standardwerk namens “Influence”. Das Buch dreht sich um die Kunst der Beeinflussung von Menschen. Wer sich schon einmal mit Psychologie beschäftigt hat, kennt wahrscheinlich dieses Werk. Und wer schon einmal im Vertrieb tätig war, kennt es wahrscheinlich ebenfalls.
Doch dieser junge Mann auf der Bühne schwadronierte mit solch leidenschaftlicher Begeisterung über das Buch, als sei er der einzige Mensch im Raum, der es jemals gelesen hat. Dabei sprach er auch noch permanent den Namen Cialdini falsch aus. Während ich in der ersten Reihe saß, dachte ich nur: “Junger Mann, ich habe Psychologie studiert. Was erzählst du mir Neues?”
Was ich damit sagen möchte, ist, dass ein Vortrag meiner Ansicht nach nicht vollständig ist, wenn du nur über die Erkenntnisse anderer berichtest. Ich gebe offen zu, dass ich mich selbst zu Beginn meiner Rednerkarriere dieses Vergehens schuldig gemacht habe. Heute weiß ich: Erst wenn du auch deine eigenen Erkenntnisse zu dem Thema einbringst, wird der Vortrag komplett. Ich vertrete deshalb die These, dass ein Vortrag aus zwei Teilen bestehen muss, um vollständig zu sein. Diese beiden Teile ergänzen einander und machen den Vortrag rund und ganz.
Aus meiner eigenen Erfahrung heraus möchte ich eine Analogie einführen, die meiner Meinung nach hilft, zu verstehen, wie man einen vollständigen Vortrag gestaltet. Diese Erfahrung hat mit meiner Doktorarbeit zu tun. Ein in sich runder Vortrag ist wie eine Doktorarbeit. Bitte verstehe mich nicht falsch: Ich sage nicht, dass man erst eine Doktorarbeit schreiben muss, bevor man sich auf eine Bühne stellen darf. Ganz und gar nicht. Aber ich glaube, dass die Struktur einer Doktorarbeit einige wertvolle Erkenntnisse liefert, wie man einen guten und vollständigen Vortrag aufbaut.
Konkret spreche ich hier von englischen Doktorarbeiten. Ich habe meine Promotion an einer englischen Universität absolviert, und dort sind die Doktorarbeiten stark strukturiert und einheitlich vergleichbar. Wenn man eine solche Doktorarbeit betrachtet, weiß man bereits im Voraus, wie sie aufgebaut ist und an welcher Stelle man welche Informationen finden kann. Im Gegensatz dazu sind deutsche Doktorarbeiten eher uneinheitlich und ungeordnet strukturiert. Volkstümlich gesagt: Kraut und Rüben! Um es vereinfacht auszudrücken: Eine englische Doktorarbeit besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil beschäftigt man sich mit dem bereits vorhandenen Wissen zu einem Thema. Man kennt die Literatur und die bestehenden Denkansätze. Man setzt sich mit dem auseinander, was bereits vorhanden ist. Dieser Teil ist äußerst wichtig, denn er ermöglicht es, ehrlich zu sagen: “Gerade weil ich gesehen habe, was bereits da ist, ist mir eine Lücke aufgefallen. Es gibt einen Aspekt oder einen Bereich, der noch nicht ausreichend erforscht oder durchdacht ist.”
Und genau hier kommt der zweite Teil ins Spiel: dein eigener Beitrag. Dieser Teil ist etwas, was zuvor nicht existierte und von anderen noch nicht gekannt werden kann, weil du es selbst entwickelt hast. Dieser Beitrag hat die Aufgabe, die Lücke zu schließen, die durch das bereits Vorhandene entstanden ist. Analog zu dieser Metapher der Doktorarbeit kann man sich auch einen guten und vollständigen Vortrag vorstellen. Einerseits weißt du, dass bereits etwas existiert und dass du nicht der erste Mensch bist, der über dein Thema spricht. Wenn du diesen Teil weglassen würdest und auf die Bühne gehst, um zu sagen: “Ich werde nun über das Thema Vertrieb sprechen. In der Geschichte der Menschheit bin ich der allererste, der sich auf eine Bühne stellt und über Vertrieb redet”, dann wird dir niemand Glauben schenken. Du musst vermitteln, dass du das kennst, was bereits vorhanden ist.
Andererseits, und das ergänzt den ersten Teil, hast du etwas entdeckt, was anderen noch nicht aufgefallen ist. Hier liegt dein eigener Beitrag. Du bringst etwas Einzigartiges ein, das nur von dir kommen kann und das die anderen noch nicht gehört haben, weil du es selbst entwickelt hast. Dieser zweite Teil, der eigene Beitrag, ist von entscheidender Bedeutung, damit dein Vortrag Originalität besitzt und vollständig ist.
Ich gebe zu, dass ich selbst diesen Fehler gemacht habe. Früher habe ich auf diesen zweiten Teil verzichtet und stattdessen tolle Geschichten erzählt. Es gibt so viele faszinierende Persönlichkeiten, die Anekdoten liefern können, sei es Steve Jobs, Richard Branson, Elon Musk und viele andere. Man könnte einen ganzen Vortrag mit Geschichten aus dem Leben anderer Menschen bestreiten. Doch das Problem ist, und das habe ich am Anfang nicht erkannt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein beträchtlicher Teil deiner Zuhörer diese Geschichten bereits anderswo gehört hat. Jeder fragt sich: “Was ist denn jetzt der eigentliche Beitrag des Redners?” Deshalb benötigst du unbedingt den Teil, in dem du deinen eigenen Beitrag, deine eigene originelle Perspektive zu dem Thema lieferst. Erst dann ist dein Vortrag komplett: einerseits das, was bereits vorhanden ist, und andererseits deine eigene Ergänzung. Für die Zuschauer muss klar sein: Was hast du Originelles zu dem Thema beizutragen? Wenn du diese beiden Teile in deine Rede einbaust, hast du die Grundlage gelegt für einen vollständigen Vortrag. Dann ist dein Vortrag in sich rund. www.redner-veraenderung-psychologie.de
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